
Habt ihr Euch mal vorgestellt, wie es ist, wenn man die Feuerwehr oder den Rettungsdienst benötigt? Das sind oft stressige Situationen, bei denen man selbst oder ein anderer Mensch viel Leid erfährt, während man sehr hilflos dasteht. Noch schlimmer aber wird es, wenn die gerufene Hilfe nicht kommt. Unmöglich? Leider nicht – immer mehr Regionen in Deutschland sind von einer mangelnden Verfügbarkeit an Rettungskräften betroffen. Wir möchten Euch nach einer kurzen Einführung in das Thema unsere Aktion „uniKAT – die Universitäten im Katastrophenschutz“ vorstellen und Euch damit zeigen, wie ihr selbst zur Unterstützung der Einsatzkräfte aktiv werden könnt ohne dass der Spaß zu kurz kommt.
Die nicht-polizeiliche Gefahrenabwehr in Deutschland
Noch hat die Bundesrepublik einen der höchsten Sicherheitsstandards der Welt – weit höher als in den USA, Frankreich oder Großbritannien. Feuerwehr oder Rettungsdienst müssen innerhalb von 12 Minuten nach der Alarmierung an jedem beliebigen bewohnten Ort der Bundesrepublik eingetroffen sein und Hilfe leisten können. Für Naturkatastrophen, Terroranschläge oder besondere Großschadensereignisse stehen jederzeit etwa 100.000 überregional einsetzbare Kräfte zur Verfügung, die vom Aufbau mobiler Krankenhäuser, der Sicherstellung der Strom- und Wasserversorgung, Brückenbau, Waldbrandbekämpfung bis hin zum Nachweis atomarer und chemischer Gefahren verschiedenste Szenarien beherrschen; und dabei verbleiben immer noch ausreichend viele Einsatzkräfte in ihren Standorten, um jederzeit und überall den vollumfänglich üblichen Sicherheitsstandard bieten zu können.
Das Ehrenamt als das Schlüsselelement der deutschen Sicherheitsarchitektur
Möglich wird diese beeindruckende Masse an gut ausgebildeten Einsatzkräften nur durch das Ehrenamt. Selbst die Berufsfeuerwehren in den deutschen Großstädten sind für Einsätze mittlerer Größe aufwärts zwingend auf die Unterstützung durch die freiwilligen Feuerwehren angewiesen. Es wäre auch für ein wirtschaftlich so starkes Land wie die Bundesrepublik Deutschland nicht möglich die ehrenamtlichen Einsatzkräfte (immerhin insgesamt ca. 2,5% der Bevölkerung, d.h. in allen Organisationen zusammen über 2 Millionen Helfer) hauptberuflich einzustellen. Abgesehen davon fährt manche Dorffeuerwehr nur ungefähr zwanzig Mal im Jahr in den Einsatz und müsste dafür trotzdem täglich neun Einsatzkräfte (im Dreischichtbetrieb also 27 Einsatzkräfte) vorhalten und bezahlen – bei tausenden Feuerwehr-, Hilfsorganisations- und THW-Standorten in Deutschland ein immenser Kostenfaktor.
Als letzter Punkt der Einleitung sei ein weiterer Hintergedanke erwähnt, der die Väter der Bundesrepublik zur Fokussierung auf das Ehrenamt bewegte: Solange die Sicherheit durch den Bürger selbst gewährleistet wird, kann keiner Volksgruppe systematisch vom Staat die Sicherheit verwehrt werden.

Warum sind Aktionen wie uniKAT notwendig?
Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren zusehends verändert: Arbeitgeber verlangen mehr Flexibilität und Einsatz, plötzliche Fehlzeiten (wie sie bei ehrenamtlichen Rettungskräften einsatzbedingt immer wieder vorkommen können) werden nicht toleriert und die gesellschaftliche Wertschätzung für die geleistete Arbeit sinkt. Gleichzeitig ist das Vertrauen in die Sicherheit ist so groß, dass der gebotene Standard oft nicht als das Ergebnis des Engagements vieler Menschen, sondern als selbstverständliches Recht eines jeden Staatsbürgers gesehen wird.
Es gibt zwar noch viele andere Faktoren, die das Ehrenamt im Bevölkerungsschutz beeinflussen, aber die zwei oben genannten gehören zu den Wichtigsten: Ohne die Unterstützung der Vorgesetzten und Arbeitgeber lässt sich der aktuelle Standard der inneren Sicherheit in Deutschland nicht halten. Nicht mal ansatzweise. Ohne gesellschaftliche Anerkennung wird es außerdem auch immer weniger ehrenamtliche Retter geben. Die Auswirkungen dieser ungünstigen Entwicklungen sind derzeit schon deutlich zu erkennen. Dies betrifft vor allem die größte Säule der nicht-polizeilichen inneren Sicherheit, nämlich die freiwilligen Feuerwehren. Vielen Feuerwehren fehlt vor allem während der typischen Arbeitszeiten (also zwischen morgens um 6 Uhr bis abends um 6 Uhr) Personal, und das teilweise so massiv, dass sie in ihrer Einsatzfähigkeit deutlich eingeschränkt sind. Welche Dimension das Problem hat, dürfte klarwerden, wenn man sich vor Augen führt, dass alle 28 Sekunden irgendwo in Deutschland eine freiwillige Feuerwehr in den Einsatz gerufen wird.

Die Universitäten als zentrale Schlüsselstelle der Gesellschaft
Wie kann man diesem Trend begegnen? Vor allem die Wirtschaft ist einem immensen Kostendruck ausgesetzt, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben. Trotz aller Notwendigkeit fällt es Unternehmen daher nicht leicht, Mitarbeiter kurzfristig für Einsätze freizustellen. Aber vielleicht lassen sich ja eben diese kurzfristigen Umstellungen durch eine veränderte Arbeitsaufteilung verkraften? Da Studierende in Zukunft für die Organisation und Planung in den Unternehmen zuständig sind, stellen sie eine lohnende Zielgruppe für eine Aufklärung über die Bedeutung des Ehrenamtes dar. Zudem sind die Studis zentral an einem Ort ansprechbar, nämlich der Universität.
Wir haben daher mit „uniKAT – die Universitäten im Katastrophenschutz“ eine Aktionswoche entworfen, die Studierenden einen Einblick hinter die Kulissen des ehrenamtlichen Bevölkerungsschutzes gewährt – gespickt mit spektakulären Vorführungen, einer Menge Spielen und der Möglichkeit sich als ungebundener Helfer registrieren zu lassen (mehr dazu weiter unten). Erstmals praktisch erprobt wurde das Konzept im Sommersemester 2016 an der Universität Siegen, die für die Entwicklung und Durchführung bereits im Voraus den Förderpreis des Bundesinnenministers „Helfende Hand 2015“ verliehen bekam.
Beworben wurde die Aktionswoche über die Universitätshomepage, einen Facebook-Kanal, Flyer in den gastronomischen Betrieben des Studierendenwerks, Plakaten in den Bussen sowie am Campus und durch Ankündigungen in Vorlesungen und im Campusradio.

Gestaltung der Aktionswoche
Grundidee der Aktionswoche war, dass sich jeden Tag von Montag bis Donnerstag ein Zweig des Bevölkerungsschutzes auf verschiedenste Weise vorstellt. Hier bietet sich extrem viel Raum für eigene kreative Ideen, ausgefallene Aktionen und einfallsreiche Werbestrategien. Es ist hervorzuheben, dass die Universität Siegen sich sofort voll und ganz zu dem vorgelegten Konzept bekannte und jegliche erdenkliche Unterstützung gewährte – inklusive eines Budgets für die Durchführung der Aktionswoche. Ebenso umfangreich fiel die Hilfe seitens des Studierendenwerkes aus.
Im Folgenden sollen einige Einblicke in das 2016 in Siegen durchgeführte Konzept gegeben werden:
An jedem Aktionstag gab es im Rahmen einer „Blaulichtolympiade“ zwei Spiele, die auf unterhaltsame Weise Eigenschaften herausfordern, die für den Einsatzdienst besonders wichtig sind. Die jeweiligen Tagessieger dieser in Sechserteams zu absolvierenden Herausforderungen gewannen eine Brauereibesichtigung für zwölf Personen. Zudem wurden über die gesamte Woche die Spiele des urban gaming festivals „Playin‘ Siegen“ in der Retter-Edition angeboten (weitere Infos zu dieser Sektion unter www.playinsiegen.de).
Den Wochenanfang machten die Hilfsorganisationen (im Fall Siegen das Deutsche Rote Kreuz und der Malteser Hilfsdienst). Sie führten Showübungen mit der Rettungshundestaffel durch, demonstrierten des Einsatz des „mobilen Krankenhauses“ (Behandlungsplatz 50 NRW) und boten Reanimationstrainings an. Gleichzeitig wurden zahlreiche Showübungen in der Cafeteria und dem Bistro des Studierendenwerkes sowie am gesamten Campus vorgeführt. Bei der Blaulichtolympiade mussten Rettungsbojen in verschieden weit entfernte Planschbecken (die damit auch unterschiedlich viele Punkte einbrachten) geworfen werden und in einem Tragerennen musste ein Eimer Wasser auf einer Trage möglichst schnell durch einen Parcours getragen werden, ohne den Inhalt zu verschütten. Außerdem wurden alle Gerichte der Mensa im Rettungsdienst-Stil umbenannt: Da gab es den „Hunger-Ersthelfer“ (Gemüseeintopf), die „Gourmet-Verbandpäckchen“ (Ravioli mit Pilzen), das „Rescue Chicken Deluxe Menü“ (Hähnchen Nuggets) sowie „Pimp my Blutspende!“ (Eier Omlette).sa

Am Dienstag fuhr die Feuerwehr ihr Gerät am Campus auf: Es wurde das Spezialgerät zur Abwehr atomarer, biologischer und chemischer Gefahren (ABC-Gefahren) zusammen mit dem mit komplexer Messtechnik ausgestatteten ABC-Erkundungsfahrzeug präsentiert. Die Studis konnten außerdem mit der Drehleiter fahren, sich am schweren technischen Gerät für Verkehrsunfälle ausprobieren oder sich wie ein Löschtrupp für Wohnungsbrände ausrüsten. Zusätzlich wurden verschiedene Showübungen in Cafeteria und Bistro vorgeführt und in der Mensa eine Modenschau mit der umfangreichen Schutzkleidung der Feuerwehr organisiert. Höhepunkt der Vorführungen war sicher die Möglichkeit sich von der Höhenrettungsgruppe der Feuerwehr aus einer Höhe von 40 m abseilen zu lassen. Als Spiele wurden Schlauchkegeln (Schläuche durch kleine Törchen ausrollen) und „das Spinnennetz“ angeboten. Dazu wurde mit einem Seil eine Art Spinnennetz geschaffen, durch dessen verschiedene vom Seil aufgespannte Fenster die gesamte Gruppe auf die andere Seite gelangen musste ohne das Seil zu berühren oder ein Fenster zwei Mal zu nutzen. Als Essen in der Mensa gab es „Gemüse nach Brandeinsatz“ (Grilltomate), „Mix von Feuerwehrschläuchen an Hähnchenstreifen“ (Möhrenspaghetti mit Hähnchenstreifen), das „Gaumenfeuer“ (Chili-Eintopf) sowie „Määh-Tü-Määh-Taaah!“ (geschmorte Lammkeule).
Der Mittwoch war zweigeteilt: Zum einen stellten die Einsatzkräfte der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) ihr Können und ihr Gerät vor. Zum anderen wurde ein wissenschaftliches Symposium mit Perspektiven und einer Bestandsaufnahme zum Thema „Ehrenamt im Bevölkerungsschutz“ geboten. Hier konnten in Fachkreisen namhafte Dozenten gewonnen werden, u.a. Abteilungsleiter des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), der Präsident des Verbandes der Feuerwehren in NRW sowie verschiedene Wissenschaftler und Urheber innovativer Konzepte. Die Kollegen der DLRG stellten ihre Ausrüstung für Tauch- und Strömungsrettung sowie verschiedene Boote vor. Da der Tauchcontainer der DLRG unglücklicherweise kurzfristig verhindert war, konnten leider keine praktischen Übungen vorgeführt werden. Als Spiele konnte man bei ihnen mit einem auf Rollen gelagerten Schlauchboot über den Campus paddeln, um eine Puppe zu retten und einen (blinden und tauben) Taucher durch Seilzeichen durch ein Labyrinth lotsen. In der Mensa gab es an diesem Tag den „Baywatch-Burger“ (Burrito mit Avokado), „gebackene Seenotbojen“ (Gnocchi-Gratin), „Taucher-Nahrung“ (Fischeintopf) sowie das „Swim hard? Eat hard!“ Menü (Rumpsteak).
Das große Finale der Aktionswoche gestaltete das THW: Auch sie brachten eine Menge Fahrzeuge und schweres Gerät mit an den Campus. Darunter Fahrzeuge für umfassende technische Aufgaben, einen fernsteuerbaren Radlader, eine Feldküche sowie spezielle Ortungsgeräte, um verschüttete Personen schnell auffinden zu können. In Begleitung der Einsatzkräfte durften die Studis alle diese Geräte ausprobieren. Zudem wurde ein ca. 12 m hoher Gerüstturm aufgebaut von dem sich Interessierte abseilen konnten. Für die Blaulichtolympiade brachte das THW das „Geduldsspiel für Riesen“ mit – eine mehrere Tonnen schwere, 6 m² große Betonplatte mit einem Labyrinth durch das eine Stahlkugel geführt werden musste indem vier Hebekissen an den Ecken der Platte koordiniert gesteuert wurden. Das zweite Spiel war „Radlader-Jenga“: Ein Teammitglied durfte den Greifarm des ferngesteuerten Radladers bedienen und damit große Holzklötze zu einem Turm aufschichten – nur mit der Schwieirgkeit versehen, dass er selbst den Greifarm nicht beobachten konnte und daher von seinen Kollegen eingewiesen werden musste. Die Mensa servierte an diesem Tag „Delikatessen aus dem Auslandseinsatz“ (Gemüsecurry mit Falafelbällchen), das „Bergungs- und Räumschnitzel“ (Wiener Schnitzel) sowie das „technische Hilfshühnchen“ (Chicken Wings). Die Eintopfausgabe schloss die Mensa an diesem Tag, da das THW eine Feldküche mitbrachte, welche leckere Erbsensuppe servierte.
Die Aktionswoche schloss mit der Siegerehrung der Blaulichtolympiade, die auf der Campuswiese bei Kaltgetränken und Würstchen durchgeführt wurde. Hier konnten Einsatzkräfte und Studierende nochmal ganz zwanglos in Kontakt kommen, Fragen wurden beantwortet und der/die ein oder andere Student*in interessierte sich für ein „reinschnuppern“ in den aktiven Dienst der Organisationen.

Die Anwerbung ungebundener Helfer
Man muss aber nicht gleich eine Uniform anlegen, um Menschen in Notsituationen helfen zu können. Neben der täglich erforderlichen Zivilcourage werden gerade in den immer häufiger auftretenden Großschadenslagen wie Hochwassern, Stürmen oder auch eventuellen Terrorlagen Menschen benötigt, die die Rettungskräfte unterstützen: Durch ihr Fachwissen in technischen Fragen, durch ihre sozialen Fähigkeiten, die sie für den Einsatz in Notunterkünften qualifizieren, oder auch einfach als aktive Helfer beim Füllen von Sandsäcken oder Zubereiten von Verpflegung für die Einsatzkräfte. Im Rahmen von uniKAT wurde deshalb, wenn auch mit etwas zeitlichem Abstand, eine Anwerbung von ungebundenen Helfern durchgeführt. Das bedeutet, dass die Studierenden sich unter Angabe ihrer (selbstverständlich absolut vertraulich behandelten) Kontaktdaten und möglichen Spezialfähigkeiten in eine Datenbank eintragen konnten, um so im Krisenfall kontaktiert zu werden. Ob sie dann dem Ruf nach Hilfe nachkommen, bleibt ihnen überlassen. Sie gehen keinerlei Verpflichtung ein.
uniKAT 2.0 – die Zukunft von uniKAT
Das uniKAT Konzept ist so etwas wie ein „Open Source Charity Event“ – das bedeutet, dass alle Informationen zu den stattgefundenen Veranstaltungen an andere Interessenten weitergegeben werden. Ziel ist es, durch eine flächenmäßige Verbreitung an den deutschen Universitäten die Generation der kommenden Verantwortungsträger quantitativ über den Wert des Ehrenamtes im Bevölkerungsschutz zu informieren. Gleichzeitig soll sich die Aktion mit jeder Durchführung weiterentwickeln, indem neue Erfahrungen und Ideen einfließen.
Ein Schritt in diese Richtung ist die Umorganisation zum studentischen Projekt an der Universität, an der zurzeit gearbeitet wird. Sofern dies klappt (es sind noch keine endgültigen Entscheidungen getroffen worden), wird die Organisation von uniKAT in die Hände interessierter Studierender übergeben, die für spätere Bewerbungen ein Zeugnis über die Aktionsdurchführung bekommen sollen. Gleichzeitig kann, sofern es der Studiengang zulässt, uniKAT als eine Prüfungsleistung anerkannt werden. Mit einem Budget von veranschlagten 3000 Euro können dann bis zu zehn Studierende verschiedenster Studiengänge die Aktionswoche für den Beginn des Wintersemesters 2017/2018 planen. Dazu gehören die Marketing- und Werbestrategie, die Organisation des Events, vor- und nachbereitende Umfragen und vieles mehr.
Alle weiteren Informationen zu uniKAT gibt es unter www.uni-kat.org sowie auf Anfrage an stephan.vogt@student.uni-siegen.de.
Der Autor:
Stephan Vogt, Jahrgang 1987, ist seit 2015 als Promotionsstipendiat (Chemie an der Universität Siegen) bei der KAS. Er ist in den Feuerwehren Lennestadt, Netphen und Siegen, u.a. als Fachberater Chemie, tätig. In diesem Zusammenhang hat er an der Entwicklung des uniKAT Konzeptes maßgeblichen Anteil gehabt. Zusätzlich organisiert er als Teil eines Ausbilderteams das jährlich in Siegen stattfindende „Symposium ABC-Gefahren“, bei dem Feuerwehrkräfte in den Laboren der Universität das für den erfolgreichen ABC-Einsatz notwendige Wissen in Chemie, Physik und Biologie erlangen.