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Erfahrungsbericht: Wahlkampf für die CDU im russlanddeutschen Umfeld

2004 kam ich als russlanddeutscher Spätaussiedler nach Deutschland, 2005 wurde ich CDU-Mitglied. Die Frage nach „Warum gerade CDU?“ musste ich mir selbst nicht beantworten. Die CDU war für mich bereits in Russland ein Begriff. Vor allem für ihre herausragenden Vertreter, Konrad Adenauer und Helmuth Kohl, hegte ich eine große Sympathie. 

Mit dem Ersten assoziierte ich den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, den damit verbundenen Wohlstand und die Etablierung der CDU als verlässliche und regierungsfähige Volkspartei in der jungen Bundesrepublik.  

 

Den zweiten großen CDU-Vertreter Helmuth Kohl habe ich als Staatsmann wahrgenommen, der u.a. die Integration der europäischen Staaten in die europäische Gemeinschaft aktiv vorangetrieben und für die Völkerverständigung zwischen Russland und dem wiedervereinten Deutschland geworben hat. 

Erst später habe ich erfahren, dass er sich für die Aufnahme von Spätaussiedern aus der Sowjetunion stark gemacht hat. Spätestens dann waren er und seine CDU für die meisten Spätaussiedler die einzige wählbare Partei in der neuen alten Heimat. 

 

Die Parteipräferenz von russlanddeutschen Spätaussiedlern beruhte jedoch nicht nur auf der Dankbarkeit für die Rückkehrmöglichkeit. Es war in erster Linie die Werteorientierung der CDU in solchen Themen wie Familie, Sicherheit, Ordnung, Migration, Bildung und Wirtschaft, die, gepaart mit dem christlichen Weltbild der Partei, die Wahlentscheidung für Spätaussiedler Anfang und Mitte der 90er Jahre so leicht gemacht hat.

Bei den letzten Landtags- und Bundestagswahlkämpfen, bei denen ich in Berlin aktiv mitgemacht habe, konnte ich feststellen, dass immer mehr Russlanddeutsche meinen, die CDU habe ihre Werteorientierung aufgegeben. 

 

Diese Stimmung beobachte ich aber nicht etwa seit der Flüchtlingskrise, also seit Herbst 2015, sondern bereits seit meinem ersten Abgeordnetenhauswahlkampf 2011. 

Die Flüchtlingskrise und die damit verbundene ungesteuerte Massenmigration sowie die Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen im Zuge der Ukraine-Krise waren Katalysatoren der ohnehin seit Jahren schwächelnden CDU-Bindung von Russlanddeutschen.  

 

Dieser Trend lässt sich nach meiner Erfahrung, sowohl bei Russlanddeutschen beobachten, welche die Ära Kohl persönlich erlebt haben und somit den direkten Vergleich zwischen den Kanzlerschaften von Kohl und Merkel ziehen können,  als auch bei denjenigen,  die später kamen, aber, deren Erwartungen an Deutschland nicht erfüllt wurden.  

Letztendlich ist insbesondere bei den Russlanddeutschen der zweiten Generation eine eher differenzierte Parteienpräferenz zu beobachteten, was mehr oder weniger dem Wahlverhalten der Mehrheitsbevölkerung entspricht. 

 

Was tun nur in einer solchen Situation, in der Russlanddeutsche, aber auch Einheimische aus unterschiedlichen Gründen ihre CDU-Bindung aufgeben? Meine Erfahrung aus den letzten Wahlkämpfen hat gezeigt, dass schon allein die Präsenz vor Ort und das Gespräch mit Bürgern hilfreich sein können. Nicht alle können überzeugt werden, aber viele hören zu und sehen auch, was schon durch den regen Austausch zwischen CDU-Mandatsträgern sowie russlanddeutschen Vereinen und Verbänden vor Ort für Spätaussiedler erreicht wurde. 

 

Und gerade im Berliner Bezirk Spandau, in dem ich zusammen mit anderen aktiven CDU-Mitgliedern diesen Austausch vorangetrieben habe, werden z.B. Tanz- und Gesangsensembles mit russlanddeutscher Folklore, Samstagsschule, Kitas, Seniorenzentren etc. durch das Bemühen und die Unterstützung der CDU gegründet und gefördert. Und diese werden inzwischen nicht nur von Russlanddeutschen besucht, sondern auch von der einheimischen Bevölkerung. 

 

Diese positive Erfahrung mit der CDU veranlassten übrigens viele Russlanddeutsche in die CDU einzutreten, um ebenfalls vor Ort gestalten zu können. So sind im Spandauer Ortsverband Zitadelle, dessen Vorsitzender ich sein darf, etwa ein Drittel aller Mitglieder Spätaussiedler. Viele sind erst vor Kurzem eingetreten und die Tendenz ist steigend. Das wirkt sich auch auf den Ortsvorstand aus, in dem inzwischen sechs von elf Mitgliedern russlanddeutscher Herkunft sind. 

 

Aber auch mit dem im Dezember 2015 gegründeten Landesnetzwerk Aussiedler der CDU Berlin versuchen wir auf der Landesebene Russlanddeutsche von der CDU zu überzeugen und die Vernetzung zwischen Politik und Aussiedlervertretern auf Berlin auszuweiten. 

 

Im Großen und Ganzen lohnt es sich auf jeden Fall vor Ort, in den Vereinen, bei Festen oder sonstigen Veranstaltungen zu sein, mit Bürgern ins Gespräch zu kommen, zuzuhören und die Sorgen von Bürgern ernst zu nehmen. Am Ende kann man nicht alles umsetzen und alle zufriedenstellen, aber man hat es zumindest versucht! 

 

P.S.: Übrigens kann ich aus meiner Erfahrung berichten, dass die meisten in den Wahlkämpfen geäußerten Sorgen und Probleme, sowohl bei Russlanddeutschen als auch bei den Einheimischen identisch sind. Daher sind die Trennlinien hier schmal und eher kultur- und mentalitätsbedingt. Die meisten Russlanddeutschen sind längst in Deutschland angekommen und erwarten, wie die einheimische Bevölkerung, eine gute Politik von allen staatstragenden Parteien, zu denen vor allem die Unionsparteien gehören. 


Autor: Georg Dege ist Promotionsstipendiat und Aussiedlerbeauftragter der Berliner CDU.