
Lexington – Wieso, Weshalb, Warum?
Die Entscheidung, während des Masters nochmal ins Ausland zu gehen, sollte man relativ früh treffen. In meinem Fall bedeutete „relativ früh“, dass ich bereits vor Beginn meiner ersten Mastervorlesung meine Bewerbungsunterlagen zusammengesammelt haben musste, um alles rechtzeitig einreichen zu können. Der Aufwand – so viel sei vorweggenommen – hat sich allerdings gelohnt.
Ich hatte mich für das Austauschprogramm der Universität Heidelberg mit der University of Kentucky entschieden und nach der Bewerbung im Oktober und einem kurzen Interview im Dezember noch vor Weihnachten die Zusage erhalten.
Gründe für ein Studium außerhalb Deutschlands gibt es genug. Meine Motivation war dabei keine Ausnahme. Neben sprachlicher und persönlicher Weiterentwicklung, war für mich ausschlaggebend, dass ich in den USA Kurse des PhD-Programms besuchen konnte. Die Nähe zur Forschung schien mir dort mehr gegeben als in Deutschland.
Spezifischer als „in die USA“ waren meine Wünsche bezüglich des Ziels nicht. Somit wählte ich die Universitäten des Austauschprogramms aus, die mir ein Studium an deren Graduate School ermöglichten. Es blieben nicht mehr allzu viele übrig und das Kursangebot in Kentucky passte am besten zu meinen Interessen.
Planung – von Zusage bis Ankunft in Lexington
Nach der Zusage aus Heidelberg wurde ich auch bald von den zuständigen Personen in Kentucky kontaktiert. Man wird in jedem Schritt der Vorbereitung hervorragend unterstützt, Mails werden schnell und unkompliziert beantwortet. Ich hatte von Beginn an das Gefühl in Kentucky willkommen zu sein und dass die Vorfreude nicht einseitig war.
Zwar freute ich mich darauf, einen Teil des stereotypen College-Lebens mitzumachen, aber auf ein Wohnheim voller Undergraduates wollte ich mich dann doch nicht einlassen. Also habe ich mich für die risikoreichere und kostengünstigere Variante entschieden und auf Craigslist nach einer WG gesucht. Nach einigen Tagen Suche und zahlreichen Mails hatte ich meinen Mietvertrag. Ich teile mir ein Haus mit drei amerikanischen Studenten in unmittelbarer Campusnähe. Dafür zahle ich inklusive Nebenkosten ca. 430$. Im Vergleich zu Wohnheimen spare ich dabei ca. 100$ und habe zudem drei sehr nette Kentucky-Natives als Mitbewohner.
Ich erinnere mich noch gut an meine Ankunft nach der Fahrt vom Flughafen: Einer meiner Mitbewohner mähte mit Zigarette im Mund und nur mit Basketball-Shorts bekleidet den Rasen. Er stellte sich in feinstem Südstaaten-Akzent vor und half dann meinem Vermieter, die für mich zusammengesammelten Möbel von der Garage in mein neues Zimmer zu tragen. Mein Vermieter fuhr mich danach direkt zur Mall, wo ich das Nötigste einkaufen konnte. Zwei Stunden später saß ich auf Einladung meiner Mitbewohner bei Sonnenuntergang vor einer der zahlreichen Kleinbrauereien der Stadt. Als ich am nächsten Tag in die Küche kam und mir mein bereits erwähnter Mitbewohner auf die Frage, was er denn koche, nur entgegenrief „I’m fryin‘ chicken!“, wusste ich, dass ich angekommen war.
Studium und Campus – es bleiben wenig Wünsche offen
Im Studentenalltag mangelt es eigentlich an nichts. Der Campus befindet sich in einer Modernisierungsphase, die zu großen Teilen abgeschlossen ist. Allerdings gibt es nach wie vor das ganze Jahr über Baustellen. Besonders profitieren die Studenten von den zahlreichen Sportstätten, die in gut gepflegt und stets frei zugänglich sind.
Das PhD-Programm in Economics ist ein kleiner Studiengang. In jedem Jahrgang gibt es 5 – 10 Studenten. Dies ermöglicht eine sehr persönliche Betreuung und Zusammenarbeit mit den Professoren. Außerdem teile ich mir mit den Studenten des neuen Jahrganges ein gemeinsames Büro/Lernraum. Das Gatton College of Economics and Business befindet sich zudem in einem brandneuen Gebäude, so dass Einrichtung und Technik in hervorragendem Zustand sind. Meinen fachlichen Schwerpunkt habe ich hier auf die Industrie- und Wettbewerbsökonomik gelegt. Über die zwei Semester beschäftige ich mich dabei hauptsächlich mit einer eigenen wissenschaftlichen Arbeit zu einem von mir gewählten Thema.





Lexington – 300.000 Einwohner aber kein Bahnhof
Von der Stadt Lexington hatte ich vor meiner Bewerbung noch nie etwas gehört. Beim Überfliegen des Wikipedia-Artikels liest man dann von der „Welthauptstadt der Pferde“ und der University of Kentucky als größtem Arbeitgeber. Mit ca. 300.000 Einwohnern ist Lexington in einer ähnlichen Größenordnung wie Heidelberg. Es gibt sogar einen kleinen Flughafen. Tatsächlich war ich zuvor noch nie in den USA und erwartete daher, etwas naiv, wenig Überraschungen.
Sobald man dann aber das erste Mal durch die Straßen der Stadt läuft fallen einem die Unterschiede sehr schnell auf. Zu allererst ist man, außerhalb des Campus, einer der wenigen, der sich dafür entschieden hat, zu laufen – große Autos sind das bevorzugte Fortbewegungsmittel. Vereinzelt sieht man die wenigen Busse des öffentlichen Nahverkehrs in den langen Autoschlangen auf den Straßen. Bei meinem ersten Gang durch die Stadt, dachte ich mir zudem aus Gewohnheit, dass der Bahnhof ein geeigneter Start und Zielpunkt der Erkundungstour sein könnte. Leider gibt es sowas in Lexington nicht und das ist für eine Stadt dieser Größe in den USA die Regel, nicht die Ausnahme. Pferde sind tatsächlich sehr präsent - in der Stadt eher in Form von Bildern oder Statuen, außerhalb findet man zahlreiche Weiden, Ställe und Pferderennbahnen. Ein wenig verschlafen schien die Stadt bei dieser Tour eine Woche vor Vorlesungsbeginn.
Lexington – Collegetown!
Mit Beginn der K-Week und den Vorlesungen änderte sich dies schlagartig. Der Campus und die Uni sind nicht nur größter Arbeitgeber, sondern auch Aushängeschild und Stolz der Stadt. Die Farben blau und weiß sind hier überall zu finden. Von Kleinkind bis Rentner, jeder hat ein paar „Fanartikel“ der Uni und der verschiedenen Teams der Kentucky Wildcats. Wenn im September die Football-Saison beginnt strömen über 60.000 Zuschauer ins universitätseigene Stadion. Im Mittelpunkt steht aber spätestens ab Mitte Oktober Basketball. Das Team zählt zu den besten des Landes und in Kentucky wird niemand müde, dies zu betonen - die Wildcats werden zum Gesprächsthema wie es in Deutschland nicht einmal Fußball schafft. Deren Trainer Calipari, in Kentucky und den USA besser bekannt als „Coach Cal“, ist nicht nur der bestbezahlte Angestellte der Universität, sondern auch die berühmteste Persönlichkeit in ganz Kentucky. Die Arena ist die zweitgrößte des Landes. Den Höhepunkt erreicht die Euphorie im Frühjahr, wenn während der „March Madness“ die regionalen und nationalen Meister ermittelt werden.
Für Studenten sind die Sportveranstaltungen zu sehr günstigen Preisen zu sehen. Man braucht lediglich ein wenig Glück, um bei der „Ticketlotterie“ gezogen zu werden. Da ich selbst sehr sportbegeistert bin und das nötige Losglück hatte, konnte ich zahlreiche Spiele live verfolgen und mich von der Begeisterung mitreisen lassen.
Lexington – definitiv eine Reise wert
Auch wenn die University of Kentucky nicht in allen Bereichen zur akademischen Elite der USA zählt, kann ich einen Aufenthalt dort nur empfehlen. Das PhD-Programm kann mit Master-Programmen in Deutschland ohne weiteres mithalten. Zudem lernt man die USA hier definitiv aus einer anderen Sicht kennen.
Vor meinem Auslandsjahr assoziierte ich mit Kentucky höchstens Fried Chicken und Whiskey. Beides findet man hier zuhauf. Es gibt hier allerdings viel mehr zu entdecken. Die Verbindung aus bodenständigem Südstaaten-Flair und liberalen, weltoffenen Menschen, auf die man in Lexington trifft, ist eine tolle Erfahrung. Und selbst wenn man mit Pferden und Sport nichts am Hut hat, gibt es hier genügend zu erleben.
Autor: Christoph Gehrig ist Masterstudent in Economics an der Universität Heidelberg. Mit dem Austauschprogramm der Universität Heidelberg absolviert er ein Auslandsjahr an der University of Kentucky in Lexington.