· 

International, vielseitig, abenteuerlich - Das Masterstudium der Humanitären Hilfe

Simulation des DRK zu Camp Management (Bild: Janine Ruser)
Simulation des DRK zu Camp Management (Bild: Janine Ruser)

Liebe Konstipendiatinnen und Konstipendiaten,

 

Nachdem ich mein Bachelorstudium im Wirtschaftsingenieurwesen abgeschlossen hatte, arbeitete ich in einem mittelständischen Unternehmen als Vertriebsingenieur. Obwohl ich viel Freude an dieser Arbeit hatte konnte ich mich für ein Masterstudium in einem ganz anderen Bereich begeistern: der Humanitären Hilfe. Momentan studiere ich im zweiten Semester in Groningen (Holland). In diesem Blogbeitrag darf ich einen kurzen Einblick in Inhalt und Ablauf des Studiums geben, warum ich mich für diesen Studiengang beworben habe und meine bisherigen Erfahrungen.

Ablauf des NOHA Masters (Bild: Network on Humanitarian Action)
Ablauf des NOHA Masters (Bild: Network on Humanitarian Action)

Aufbau des NOHA Master

 

Das „Network on Humanitarian Action“ (NOHA) besteht aus neun europäischen Universitäten, die den Studiengang gemeinsam ausrichten. Dieser wurde 1993 in Kooperation mit der EU Kommission gegründet, um eine umfassende Weiterbildungsmöglichkeit im humanitären Bereich zu schaffen. An einer Heimatuniversität werden im ersten Semester Grundlagenmodule absolviert, an einer Gastuniversität dann das zweite Semester mit einem besonderen Fokus. Zum dritten und vierten Semester komm ich später noch.

 

Als Heimatuniversität wählte ich die Ruhr Universität in Bochum aus, die das Studium in Zusammenarbeit mit dem Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitärem Völkerrecht (IFHV) durchführt. Jedoch beginnt das Studium für alle Studentinnen und Studenten eines Jahrgangs mit einem einwöchigen Startseminar in Warschau, welches Vorträge, Seminare und ein Sicherheitstraining beinhaltet. Europaweit studieren pro Jahrgang ca. 130 Studierende aus verschiedensten Regionen und Fachrichtungen. In meinem Kurs waren wir im ersten Semester in Bochum 21 Studentinnen und Studenten.

 

1. Semester: Grundlagen von Medizin bis Recht

 

Trotz anfänglicher Zweifel hat sich der Umzug aus meiner idyllischen badischen Heimat in den Ruhrpott definitiv gelohnt. Nicht nur weil ich dadurch die Region mit dem „Pulsschlag aus Stahl“ besser kennen lernen konnte oder es in der Bochumer Innenstadt an gefühlt jeder Ecke einen Falafel-Stand gibt, sondern auch weil ich mich nicht daran erinnern kann jemals so viel in einer so kurzen Zeit gelernt zu haben.

 

Im ersten Semester werden an allen Unis des Netzwerks Grundlagen vermittelt. Diese beinhalten die Module Geopolitik, Management, Basismedizin, Anthropologie und Internationales Recht - immer im Bezug zum humanitären Kontext. Dieses breite Spektrum an interessanten Modulen hat mich von Beginn an fasziniert. Obwohl ich in keinem der Module wirklich nennenswerte Vorkenntnisse hatte war das hohe Lernpensum mit viel Enthusiasmus, Kaffee und herzlichen Kommilitonen/-innen dennoch gut machbar. Die Module werden von Experten in Ihrem Gebiet unterrichtet die viel von Ihren eigenen Erfahrungen aus dem Kongo, dem Mittleren Osten oder Westafrika einbringen. Spannend waren für mich Diskussionen darüber, inwiefern eine Hilfsorganisation beim Umgang mit Konfliktparteien neutral sein kann. Neben Epidemiologie oder dem UN-Prinzip „Responsibility to Protect“ konnte ich mich besonders für Internationales Recht begeistern. Meine bescheidenen Erwartungen wurden durch ein Feuerwerk an kritischen Themen weit übertroffen. Die völkerrechtliche Ausgangslage zu Kataloniens Unabhängigkeitsbestrebungen oder die Anwendung von Humanitärem Völkerrecht in Syrien wurde von dem dafür prädestinierten IFHV-Team erläutert. Mit der Absicht eines Tages in der Not- und Entwicklungshilfe zu arbeiten konnte ich also in diesen wenigen Monaten schon sehr viel Hintergrundwissen in den verschiedenen Bereichen erwerben.

2.  Semester: Die zentrale Frage nach dem Kontext 

 

Im zweiten Semester bietet jede Uni als Gastuniversität einen thematischen Fokus an. In Uppsala (Schweden) ist dieser zum Beispiel „Conflict, Peace-building and Religion“ oder in Malta „Forced Migration“. Ich habe mich für Groningen entschieden, wo es nicht nur Vla in großen Mengen gibt, sondern der Fokus auch auf „Humanitarian Analysis and Intervention Design“ liegt. Hier geht es darum, die Lage einer Krise so zu bewerten und analysieren, dass die humanitäre Antwort darauf so effektiv wie möglich gestaltet werden kann. 

Nachdem es in den 90ern grobe Versäumnisse in der Koordination von humanitärer Hilfe gab, wie beispielsweise in Ruanda, wurde dieser Sektor in den letzten Jahrzehnten durch Qualitätsstandards und verschiedene Initiativen professionalisiert. So zielen zum Beispiel das Prinzip „Do no harm“ oder die „Core Humanitarian Standards“ darauf ab, jegliche Hilfe bestmöglich den Bedürfnissen anzupassen, lokale Kapazitäten zu stärken oder auch mögliche negative Auswirkungen zu vermeiden. Im Studium werden wir dafür sensibilisiert, dass man aus vorigen Erfahrungen einige gute Methoden ableiten kann, es aber keine vorgefertigte Lösung für Krisen gibt. Diese müssen speziell dem Kontext angepasst werden, wozu eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Partnern nötig ist. Mich reizt dabei, dass jede Mission aufgrund ihrer Besonderheiten immer eine neue Herausforderung darstellt, die nur im Team erfolgreich gelöst werden kann. 

Mein Kurs ist auch im zweiten Semester wieder ein lustiger Haufen aus über 15 verschiedenen Nationen. In den vielen Gruppenarbeiten ist das multikulturelle Umfeld schon eine tolle Vorbereitung auf die spätere Arbeit in internationalen Teams. 

"Team Groningen" (Bild: Nargiz Mammadova)
"Team Groningen" (Bild: Nargiz Mammadova)

3.+ 4. Semester: Vorbereitung auf die Arbeit in Krisenregionen

 

Noch nie gab es so viele Menschen die aus Angst vor Verfolgung und Tod fliehen mussten. Der Konflikt in Syrien hält nun schon über 7 Jahre an und hat 1/3 aller Wohngebiete des Landes zerstört. Auch im vergangenen Jahr sind täglich (!) über 7000 Menschen in Syrien aus Ihrer beheimateten Region geflohen – über die Hälfte davon Kinder und Jugendliche. Das Schicksal von zwei Familien, die im Zuge der Flüchtlingskrise meinem Heimatdorf zugewiesen wurden, verdeutlichte mir, unter welchen Umständen fliehende Menschen leben.

 

Damit verbunden ist der wohl bedeutendste Grund, warum ich diesen Master studiere: Ich glaube an einen Gott der jeden Mensch mit einzigartigen Potentialen geschaffen hat, zu deren Entfaltung jeder Mensch die Möglichkeit haben sollte. Nächstenliebe motiviert mich dazu beizutragen, dass benachteiligte Menschen, wie Flüchtlinge, ein selbstbestimmtes Leben führen können und Zugang zu Bildung haben.

 

Im dritten Semester gibt es die Möglichkeit ein Praktikum bei einer Organisation im Bereich der Not- und Entwicklungshilfe durchzuführen, um das Gelernte anzuwenden. Alternativ kann man an einer Partneruni außerhalb Europas wie z.B. in Indonesien, Kolumbien, Jordanien u.a. ein weiteres Semester studieren, bevor man dann im vierten Semester die Masterarbeit wieder an der Heimatuniversität schreibt.

 

Aufgrund der geforderten Mobilität bringt das Studium, und später der Beruf, auch oft unpraktische Aspekte mit sich. Sicherheitsbedenken sind in manchen Regionen nur eingeschränkt kalkulierbar. Die beruflichen Perspektiven sind jedoch so vielfältig, dass diese Bedenken nicht in allen Bereichen aufkommen müssen. Ich selbst plane wie auch über die Hälfte aller Absolventen in einer Nicht-Regierungsorganisation oder der UN zu arbeiten.

 

Ich hoffe Euch hiermit einen ersten Eindruck von diesem Studium gegeben zu haben.

 

Ich wünsche Euch viel Erfolg in Eurem Studium & eine gesegnete Osterzeit!

 

Joshua


Zusätzliche Informationen

• Außer in Frankreich sind die Vorlesungen auf Englisch – ein starker deutscher Akzent "is voll oke"

• Mit Verweis auf den Schumanplan hätte Konrad Adenauer diesen Studiengang auch gerne studiert

• Alle Infos zum NOHA Master: www.nohanet.org/masters

• Das IFHV in Bochum: www.ifhv.de

• Länderübersicht von Krisenregionen: www.acaps.org


Autor: Joshua Eberle steht bei Rückfragen gerne zur Verfügung. Seine Kontaktdaten sind bei KAS-Connect zu finden.