INTERVIEW MIT DR. LAURA WENDT, MANAGERIN »GLOBAL DIVERSITY AND INCLUSION«.
Weniger als 30 Frauen finden sich in Vorständen von DAX-Unternehmen. Nicht einmal sechs Prozent der CEOs in Fortune 500-Unternehmen sind weiblich. Deutschland ist bezogen auf Frauen in Führungspositionen nach wie vor Schlusslicht. Für den Wandel braucht es vor allem auch eines: Mut – sowohl von Frauen als auch von Männern, meint Altstipendiatin Dr. Laura Wendt.
In Deutschland gibt es mehr Abiturien- tinnen als Abiturienten. Warum landen trotzdem so wenige Frauen in Führungspositionen?
Laura Wendt: Das liegt vor allem an dem Mangel an Vorbildern. Wenn keine Frauen in höheren Positionen auf den Websites und Fluren sichtbar sind, glauben Frauen, dass sie keine Chance haben, bewerben sich gar nicht erst oder beenden verfrüht ihre Karrieren. Frauen in Führungspositionen hingegen ziehen weibliche Talente magisch an und ermutigen sie allein durch ihre Präsenz, die Karriereleiter weiter nach oben zu steigen. Allein wenn Bilder erfolgreicher Frauen in Zimmern hängen, in denen Mädchen Matheaufgaben lösen, sind sie erfolgreicher.
Was sind die typischen Probleme weiblicher Führungskräfte?
Laura: Frauen haben Schwierigkeiten, in professionelle Netzwerke zu gelangen und Sponsoren für sich zu gewinnen. Alle wichtigen Entscheidungen bezüglich der eigenen Karriere werden getroffen, wenn man nicht im Raum ist. Wird die Beförderung von Frauen hinter verschlossenen Türen diskutiert, brauchen sie einen Verbündeten aus der Führungsriege, der sich für sie einsetzt. Viele Männer sehen es jedoch als Risiko an, eine Frau zu unterstützen, und somit ist es fast verständlich, dass sie lieber andere Männer sponsern.
In vielen Köpfen dominiert noch das »Think Manager – Think Male«-Phänomen: Der Idealtyp eines Chefs ist nach wie vor männlich.
Laura: Das stimmt. Der Prototyp einer Führungspersönlichkeit ist in unseren Köpfen immer noch ein Mann. In vielen Experimenten wurden Menschen gebeten, eine Führungsperson zu beschreiben oder zu zeichnen. Fast jeder beschreibt oder malt ganz automatisch einen Mann. Von Frauen erwarten wir dagegen nach wie vor, dass sie fürsorglich und sozial sind.
Muss sich die Vorstellung von einer typischen Führungskraft in der Unter- nehmenskultur und auch in der Gesellschaft ändern?
Laura: Unbedingt. Ich frage mich oft, warum wir in Deutschland rein männliche Führungsteams gesellschaftlich akzeptieren, wenn wir doch mehr Abiturientinnen als Abiturienten haben. Warum sehen viele Führungsriegen Unternehmenswebseiten und -fluren noch so aus wie zu Adenauers Zeiten? In Schweden oder den USA würde dies nicht akzeptiert werden. Wir sollten solche Ungleichheiten viel öfter ansprechen und diskutieren.
Wie kann dies gelingen?
Laura: Allein dadurch, dass Männer Elternzeit nehmen oder auch Teilzeit arbeiten und erfolgreiche Frauen für das Familieneinkommen sorgen, kann die automatische Assoziation »Führungskraft ist männlich« gelockert werden. Frauen kümmern sich noch immer doppelt so viel um den Haushalt und dreimal so viel um die Kinderbetreuung, sogar wenn sie genauso viel arbeiten wie ihr Partner.
Bist Du Quoten-Freundin oder Quoten- Gegnerin?
Laura: Mittlerweile eine Quoten-Freundin, obwohl ich mir der Abwehr gegenüber Quoten vollkommen bewusst bin. Als junge Studentin
war ich ganz klassisch dagegen, da ich geglaubt habe, dass harte Arbeit schon dafür sorgen wird, dass es Frauen nach oben schaffen. Doch in der Praxis merkt man schnell, dass sich durch Fleiß und guten Willen leider nicht viel ändert.
Ist die Frauenquote also ein geeignetes Mittel, um nachhaltig voranzu- kommen?
Laura: Wir dürfen in dieser Debatte nicht vergessen, dass wir die erste Generation sind, die Experimente mit Quoten durchführt, weswegen manche Ansätze unbeholfen wirken können. Ich möchte noch einmal zu bedenken geben: Sehen Frauen und Mädchen nicht genug andere erfolgreiche Frauen, wird sich manchen Schätzungen zufolge auch in den nächsten 100 Jahren nicht viel an dem geringen Frauenanteil in den Führungsetagen ändern. Solange es keine bessere Strategie gibt und sich unsere Gesellschaft nicht aus eigener Kraft ändert, bin ich ganz klar für die Quote.
Immer mehr junge Männer nehmen Elternzeit und haben den Anspruch, sich um die Erziehung zu kümmern. Ist das auch eine Generationenfrage?
Laura: In jedem Fall spiegelt das unseren Zeitgeist wider. Ich beneide die Männer der Generation X und Babyboomer nicht, denn viele von ihnen hätten gerne mehr Zeit für ihre Kinder und Eltern gehabt oder einen nichtstereotypen Beruf wie Florist, Kindergärtner oder Sekretär ausgeübt. Das war damals nicht möglich. Dabei sind Väter, die sich Zeit für ihre Kinder nehmen dürfen, zufriedener und produktiver in ihrem Beruf und bleiben länger bei ihrem Arbeitgeber.
Wie können sich Frauen in reinen Männerrunden durchsetzen? Was ist Dein Rat?
Laura: Viele Studien zeigen, dass Frauen dazu neigen, ihre Fähigkeiten zu unterschät- zen. Sie glauben meist, dass sie noch nicht perfekt qualifiziert sind, obwohl sie in der Realität genauso gut wie Männer abschneiden. Diese Frauen brauchen einen freundlichen »Schubs« – am besten von einer Frau. Daher mein Rat: Treffen Sie sich jeden Monat mit ein paar anderen Frauen zu einem Erfolgsstammtisch, an dem jede Frau nur über ihre Talente, Fähigkeiten und Potentiale spricht. Hören Sie sich in Ihrer Firma und Ihren Netzwerken um. Sobald eine Führungskraft eine dieser Eigenschaften benötigt, stellen Sie den Kontakt zu der passenden Frau her. Diese Strategie hat schon zu manch einer Beförderung geführt.
Du warst lange Zeit Unternehmensbe- raterin. Was hat Dich motiviert, in den internen Bereich Vielfalt und Inklusion zu wechseln und Dich dem Thema Frau- en in Führungspositionen zu widmen?
Laura: Mich haben schon immer die menschli- chen Automatismen fasziniert, die unsere Wahr- nehmung und unser Verhalten beeinflussen
und steuern. Ich war jedoch auch schon immer betriebswirtschaftlich interessiert. Nun verbinde ich all diese gesammelten Erfahrungen und das Wissen in meiner neuen Rolle und setze es weltweit in Firmen und Universitäten um.
Was zeichnet Firmen aus, in denen besonders viele Frauen Führungspositionen innehaben?
Laura: Die Statistik spricht eine eindeutige Sprache: Ersetzt man einen Mann mit einer Frau im höheren Management oder im Vorstand, so führt dies zu acht bis 13 Prozent höherer Kapitalrendite und drei bis acht Prozent höherer Profitabilität. Hinzu kommen ein besserer Kundenservice und eine verbesserte öffentliche Wahrnehmung; man gewinnt die besten Talente für sich, es entsteht gesteigerte Innovation und die Mitarbeiter zeigen größeren Einsatz und eine höhere Arbeitsmoral.
Wie können Firmen ganz allgemein Diversität fördern?
Laura: Zwei Dinge sind da besonders wich- tig: Erstens sollten Mitarbeiter in Unterneh- men unbewusste Vorurteile (»Unconscious Biases«), die anfangs oft automatisch ablau- fen, verstehen und bezwingen. Menschen mit
den besten Intentionen bemerken nicht, dass sie ihr Gegenüber unterschiedlich behandeln und beurteilen, je nachdem zu welcher Grup- pe dieses gehört. Dafür habe ich ein spezi- elles Training entwickelt. Zweitens sollten Firmen ihren Mitarbeiterinnen Sponsoren und Sponsorinnen zur Verfügung stellen. Sie stel- len oft wichtige Kontakte vor, bringen Frauen in Netzwerke und auf wichtige Projekte. In diesem offiziellen Rahmen haben Frauen dann die Chance, einen Verbündeten für sich zu ge- winnen und ihre Ideen direkt zu kommunizie- ren. Umgesetzt werden kann dies beispielsweise durch Sponsorship-Programme.
Stell Dir vor, Dir steht eine männliche Führungskraft gegenüber, die fragt: »Was kann ich tun, um Frauen zu un- terstützen?« Was würdest Du antwor- ten?
LAURA: Seien Sie ein Sponsor und bieten Sie in Ihrem Unternehmen ein Sponsorship-Programm an. Zeigen Sie auf Ihrer Webseite und Ihren Firmenfluren Bilder von erfolgreichen Frauen. Bieten Sie all Ihren Mitarbeitern ein
Training über unbewusste Vorurteile an und laden Sie alle ein, transparente und mutige Konversationen zu führen.
TEXT: LARISSA ROHR FOTOS: KLAUDIA TADAY
DR. RER. MEDIC. LAURA WENDT
■ Geboren in Korinth, Griechenland
■ Studium der Neuropsychologie an der
Universität Konstanz
■ Promotion im Bereich Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie zum Thema »Psychological and genetic predictor variables of nocebo responses after cyclosporine A and placebo intake« am Universitätsklinikum Essen
■ Von 2015 bis 2017 arbeitete sie als Management Consultant bei der globalen Unternehmensberatung A.T. Kearney
■ Seit 2017 ist sie Managerin »Global Diversity and Inclusion« bei A.T. Kearney und hat maßgeschneiderte Workshops für Fortune- 500 Unternehmen entwickelt, um deren Attraktivität am Arbeitsmarkt und das interne Arbeitsklima zu verbessern. Ihre »Unconscious Biases«-Trainings hat sie be- reits weltweit an renommierten Universitä- ten und in Industrieunternehmen etabliert. Mehr Informationen unter: www.atkearney.de
Kontakt: laura.r.wendt@googlemail.com