Regierungskrisen und politisches Chaos – das ist in Italien gar nicht so ungewöhnlich. Um ein wenig Ordnung in das aktuelle und das historische Geschehen zu bringen, fand in Florenz ein fünftägiges Initiativseminar statt. 24 Stipendiaten bekamen einen tieferen Einblick in das Phänomen Italien.
Hochspannende Zeiten in Italien: Gerade erst ist die Koalition der linkspopulistischen Cinque Stelle und der rechten Lega geplatzt. Doch aus den Neuwahlen, auf die Lega-Chef Salvini spekuliert hat, wurde nichts: Nach wochenlanger Regierungskrise formierte sich eine neue Regierung aus den einstigen Gegnern Cinque Stelle und den Sozialdemokraten der Partito Democratico. Genau in diesen bewegten Tagen fand unser KAS-Initiativseminar in Florenz statt, mit dem Titel: Renaissance 2.0? – Italien und Europa im Spannungsfeld zwischen Humanismus und Populismus. Dazu nahmen wir nicht nur die Geschichte Italiens und die Renaissance in den Blick, sondern auch die aktuelle politische Lage und den Populismus in Italien. Seminarort war das Kunsthistorische Institut in Florenz.
Italien der Knotenpunkt, Florenz die Wiege der Renaissance
Los ging es mit einer Einführung von Konstipendiatin Johanna Gremme, die in Florenz studiert und unser Wissen über die Renaissance auffrischte. Denn so einfach ist das mit der Definition gar nicht: Die Renaissance ist zu anderen Epochen nur schwer abzugrenzen und war eigentlich auch eher eine Bewegung als ein Zeitalter. Italien war dabei der „Knotenpunkt“ dieser Bewegung und Florenz gilt bis heute als Wiege der Renaissance – auch weil hier berühmte Künstler und Genies wirkten. Zum Beispiel Michelangelo, der in Florenz seinen David schuf; Leonardo da Vinci, der hier unter anderem seine Ausbildung in einer Künstlerwerkstatt machte. Oder Filippo Brunelleschi, der die Kuppel des Doms von Florenz errichtete, was damals als unmögliches Vorhaben galt und heute noch als Meisterwerk verehrt wird. Und natürlich war Florenz auch Sitz der mächtigen Dynastie der Medici, die die Kunst und Architektur erst durch ihre Gelder ermöglichten.
Doch die Renaissance war nicht nur geprägt von Künstlern, sondern die Bewegung war viel umfassender: Der kritische Geist der Antike erwachte aufs Neue. Alte antike Manuskripte tauchten wieder auf und wurden neu veröffentlicht. Handelsbeziehungen und Eroberungen kamen dem zugute, jedoch packte einige Zeitgenossen auch ein regelrechtes Jagdfieber auf alte Manuskripte: „Textjäger“ der Renaissance suchten beispielsweise in Klosterbibliotheken unermüdlich nach bislang unbekannten Werken der großen Dichter und Denker der Antike.
Von der italienischen Einigung bis zum EU-Gründungsland
Neben der Renaissance wurden im Seminar auch andere historische Themen abgedeckt, um Italien besser kennenzulernen. Prof. Giovanni Giorgini von der Universität Bologna ging auf die berühmten Werke des Staatsphilosophen Niccolò Machiavelli und die Geschichte der politischen Ideen ein. Denn auch Machiavelli war Florentiner, ist einer der bedeutendsten politischen Denker der beginnenden Neuzeit und darf auch heute in keinem Studium der Politikwissenschaft fehlen.
Konstipendiatin Vanessa Verena Wahlig nahm sich die Geschichte Italiens und die politischen Kulturen seit dem Risorgimento, der italienischen Einigungsbewegung, vor: Denn bis zum Wiener Kongress 1815 war Italien ähnlich wie Deutschland ein Flickenteppich aus kleinen Fürstentümern. Wie bei uns wollten auch in Italien die Menschen ein geeintes Land. Mit der Ausrufung des Königreichs Italiens im Jahr 1861 wurde dies endlich Realität, zehn Jahre vor der Gründung des deutschen Nationalstaats. Schlüsselfiguren der Einigungsbewegung wie Vittorio Emanuele II, Cavour oder Giuseppe Garibaldi sind bis heute in italienischen Städten omnipräsent – viele Denkmäler sind ihnen geweiht, viele Straßen und Plätze nach ihnen benannt. 1946 wurde aus dem Königreich Italien schließlich eine Republik und ein paar Jahre später war Italien Gründungsmitglied der Europäischen Union.
Prof. Dr. Markus Krienke, Vertrauensdozent der KAS in Italien und Professor an der Theologischen Fakultät in Lugano hielt daran anschließend einen Vortrag über die Gründerväter der EU: Über Adenauer, De Gasperi und Schuman, ihre Visionen eines vereinten Europas und mögliche frühere Treffen der Staatsmänner. Mit verschiedenen Workshops und einer Fragerunde zur Mafia, Politik und Kirche gab es während des Seminars auch den Raum für mehr Interaktion. Außerdem bekamen wir eine Führung durch das Kunsthistorische Institut in Florenz und einen Blick auf die 300 000 Monographien der Bibliothek. Dr. Jan Simane, Leiter der Bibliothek des Instituts, führte uns durch die Sammlung und beantwortete unsere Fragen.
Instabiles Italien? In 73 Jahren 66 Regierungen
Während all diesen Vorträgen, Gesprächsrunden und Workshops wurde klar: Historisch gibt es über Italien viel dazuzulernen und politisch tickt das Land anders als Deutschland. Denn im Gegensatz zu Deutschland ist Italien geprägt von ständigen Regierungswechseln: Italien hat seit 1946 – also in 73 Jahren – 66 Regierungen verschlissen. Zum Vergleich: In Deutschland waren es in 70 Jahren nur 24 Regierungen. Im Durchschnitt blieb in Italien also keine Regierung länger im Amt als etwas mehr als ein Jahr. Manche Premiers schafften es auch nur für wenige Wochen sich im Sattel zu halten, erklärte Silke Schmitt vom KAS-Auslandsbüro in Rom. Sie und Katharina Strecker von der deutschen Botschaft in Rom gaben uns außerdem einen Einblick in die deutsch-italienische Zusammenarbeit.
Berlusconi, Renzi oder Salvini: der Politikstil ist immer ähnlich
Nicht nur die wechselnden Regierungen machen in Italien einen chaotischen Eindruck – auch das Parteiensystem ist aus deutscher Sicht stark zersplittert und einem viel größeren Wandel unterworfen als bei uns: Während in Deutschland im Laufe der Jahrzehnte einige wenige neue Parteien in den Bundestag einzogen, änderte sich in Italien das Parteiensystem nach 1994 grundlegend. Die Democrazia Cristiana (DC), die damalige Schwesterpartei der CDU, regierte bis 1994 ununterbrochen und stellte meistens den Premier. Doch aufgrund von Korruptionsskandalen verschwand die Partei nach 1994 zusammen mit anderen etablierten Parteien. Neugründungen wie zum Beispiel die Forza Italia von Berlusconi eroberten von da an die italienische Politik.
Auch die Art und Weise Politik zu machen unterscheidet sich in Italien: Der Politikstil von Berlusconi sei in Italien eher der Normalfall, sagt Fabio Bordignon von der Universität Urbino in seinem Vortrag. Andere Politiker „imitierten“ seinen Stil, wie auch Matteo Renzi, der gerne mal Politik mit Entertainment vermischte. Der ehemalige Bürgermeister von Florenz bezeichnete sich selbst als „Verschrotter“ der alten politischen Klasse. Er wollte das korrupte politische Establishment loswerden – Rhetorik, die man heute nur allzu gut kennt. Auch Salvini ahmt nun diesen Stil nach, so Giorgia Bulli, Politikwissenschaftlerin an der Universität in Florenz. Wie Renzi nutzt auch Salvini nun „die Sprache der Leute“. Populismus gehört in Italien offenbar dazu, für Bulli ist er der „Schatten“ der Demokratie.
Florenz ächzt unter Massentourismus und den Airbnbs
Aber es ging im Seminar nicht nur um Politik oder Geschichte: Wir erkundeten auch die Stadt und ein paar Sehenswürdigkeiten: Zum Beispiel die Florentiner Synagoge, die Uffizien oder den Piazzale Michelangelo, ein erhöhter Aussichtsplatz mit wunderbarem Blick auf die Stadt. Ein anderes aktuelles Thema ploppte hier auf: Der Massentourismus. Denn auf der Piazzale drängte sich eine Fülle von Menschen, die ebenfalls bei Sonnenuntergang einen guten Blick auf Florenz erhaschen wollten. Anna Keitemeier, Studentin der Architektur- und des Städtebaus in Florenz, ging darauf auch gleich zu Anfang des Seminars in ihrem Vortrag ein. Denn nicht nur Venedig leidet unter den Strömen an Touristen, die die Stadt immer weiter erobern. Auch Florenz verliert seinen ursprünglichen Charakter, so der Vorwurf der Einheimischen. Viele Florentiner leben längst nicht mehr im historischen Kern, sondern im Umland von Florenz und überlassen den Airbnbs und Touristen die historische Altstadt.
Mit vielen neuen Eindrücken, Bekanntschaften und mehr Wissen über Italien im Gepäck endete das Seminar. Ein großer Dank geht an die KAS in Rom, das Kunsthistorische Institut in Florenz und die vielen Referenten, ohne die das Seminar nicht in dieser Form zustande gekommen wäre.
Orga-Team des Florenz-Seminars: Johanna Gremme, Vanessa Verena Wahlig, Julia Ruhs, Benedikt Kirsch, Thomas Schaumberg, Clemens H. Wagner
Autorin: Julia Ruhs, Stipendiatin der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA).