Die Corona Pandemie hat dieses Jahr vielen engagierten Stipendiatinnen und Stipendiaten einen Strich durch die Rechnung gemacht, wenn es um die Organisation eines Initiativseminares ging. Unsere Seminargruppe wäre am ersten Oktoberwochenende eigentlich in Uppsala, Schweden, gewesen und hätte über Nachhaltigkeit in den Nordischen Ländern diskutiert, wäre alles nach Plan gelaufen. Ganz absagen wollten wir das Seminar aber nicht. Stattdessen haben wir uns entschlossen, den Versuch zu wagen, ein Online-Seminar auf die Beine zu stellen, das mindestens genauso spannend und lehrreich werden sollte wie ein normales KAS-Seminar.
Mit der Unterstützung des Altstipendiatenvereins, des Netzwerks Nachhaltigkeit und des Stipendiatenbeirats haben wir am ersten Oktoberwochenende gemeinsam mit 20 Stipendiatinnen und Stipendiaten das Thema European Green Deal (EGD) aus deutscher und nordischer Sicht beleuchtet. In diesem Artikel möchten wir euch die im Seminar erarbeiteten Positionen Deutschlands und der nordischen Länder vorstellen.
Deutschland
Als derzeitiger Inhaber der Ratspräsidentschaft und als größte Volkswirtschaft der EU hat Deutschland die Möglichkeit den EGD maßgeblich mitzugestalten. Während die Einstellung in der Bevölkerung und den deutschen Parteien eher positiv gestimmt zu sein scheint, verläuft die Umsetzung der eigenen Klimaziele jedoch eher schleppend. Dennoch kann Deutschland insbesondere im Hinblick auf die Bewältigung der Corona Krise eine entscheidende Rolle im Klimaschutz nicht abgesprochen werden, die es in dieser besonderen Situation auch wahrzunehmen scheint.
Norwegen
Norwegen bekennt sich auch als Nicht-EU-Mitglied (Mitglied im Schengen-Raum und Europäischen Wirtschaftsraum) vollständig zu den Zielen des EGD in seiner europäischen Umsetzung und beteiligt sich an dessen Finanzierung. Das Land war an der Entstehung des European Green Deals zwar nicht direkt beteiligt, hat sich aber angeschlossen und sieht sich jetzt wie die anderen nordischen Länder als “Musterbeispiel” und Unterstützer.
Das nördlichste Land des europäischen Kontinents ist auf der einen Seite “Klimavorreiter” (98% erneuerbare Energien im Strommix des Landes), auf der anderen Seite aber auch Klimasünder (40% aller Exporte sind Öl und Gas). Dennoch wird Umweltschutz als größeres Konstrukt von Natur- über Klima- bis hin zu Lärmschutz gesehen und als eine Art Lebensstil (“friluftsliv”) in den Alltag integriert. Gleichzeitig will eine Mehrheit die Ölförderung noch nicht vollständig einstellen, wobei ein beginnender Trend des Umdenkens erkennbar wird.
Insgesamt ist Norwegens Klimapolitik daher als ambivalent zu betrachten: Es gibt viele ambitionierte Ansätze wie das Ziel der Klimaneutralität bis 2030 oder die ausschließliche Zulassung von emissionsfreien Autos ab 2025; allerdings kann man dem Land auch Greenwashing vorwerfen, da die Ausfuhr von Erdölprodukten weltweit etwa das Zehnfache der in Norwegen selbst generierten Treibhausgasemissionen freisetzt.
Finnland
Finnland ist eine der treibenden Kräfte des EDGs. Es unterstützt die Ambitionen bis 2030 55% der Emissionen zu reduzieren und hat sich selbst das Ziel gesetzt bis 2035 Kohlenstoff-Neutralität zu erreichen (siehe politische Richtlinien der Regierung 2019-2023). Zwei Streitpunkte sind die Berechnung von Wäldern als Kohlenstoffspeicher und die Verwendung von Torf, welches 12% der nationalen Emissionen ausmacht. Finnland steht kurz vor der Umsetzung von vielen Sustainable Development Goals[1] (SDGs) und startet ein nationales Programm mit dem Ziel, den ökologischen Fußabdruck der Bevölkerung zu minimieren und Bewusstsein über die Herkunft der Nahrung zu schaffen. Die Energiegewinnung soll bis noch in den 2030er Jahren emissionsfrei werden - deshalb hat der Bau von zwei neuen Atomkraftwerken bereits begonnen, welche in der Bevölkerung großteils positiv aufgenommen werden.
Schweden
Schweden begrüßt den EGD grundsätzlich zwar sehr, steht einigen Punkten allerdings kritisch gegenüber. Das betrifft hauptsächlich die Frage der Finanzierung der gesteckten Ziele. Weil für Schweden, ganz ähnlich den anderen skandinavischen Ländern, der Aspekt des wirtschaftlichen Wettbewerbs als treibender Kraft für Innovationen im Bereich des Klimaschutzes zentral ist, fordert es etwa konkrete Pläne für die praktische Umsetzung. Allein die Höhe an Investitionen ist für Schweden kein Garant für Erfolg und die Solidarität Schwedens gegenüber anderen Mitgliedsstaaten knüpft sich daran, dass für Investitionen strenge Kriterien gelten. Insofern besteht ein gewisser Widerspruch zwischen Schwedens Prämisse des ‚less but better‘ und dem EGD als neuer Wachstumsstrategie für Europa.
Als Vorreiter in Sachen Ökologie und Nachhaltigkeit - Schweden recycelt 99% des im Land anfallenden Mülls, hat als erstes der EU-Mitgliedstaaten die Ziele für die Nutzung erneuerbarer Energien erreicht und ist im Bereich der Öko-Innovationen seit Jahren unter den führenden europäischen Ländern - verfolgt Schweden in Teilen zudem deutlich ambitionierte Ziele. Hat sich die EU etwa die Reduktion der Treibhausgase bis 2030 um ,mindestens 50% und angestrebte 55%‘ als Ziel gesetzt, strebt Schweden innerhalb desselben Zeitraumes eine Reduktion um 70% an. Schweden ist mit seiner kritischen Haltung letztlich also nicht nur unverzichtbar dafür, dass sich innerhalb der EU keine Bequemlichkeit einstellt, sondern auch eines der Länder, von denen andere Mitgliedstaaten trotz anderer geographischer Gegebenheiten lernen können.
Dänemark
Dänemark unterstützt den EGD und fordert sogar höhere Ziele. Das Land übernimmt eine Vorreiterrolle in Europa und fördert schon seit Jahrzehnten erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit. Das Klimagesetz von 2019 definiert ambitionierte Ziele, sodass Dänemark auch außerhalb des EGD den Klimaschutz vorantreibt. So stellt die Hauptstadt Kopenhagen, die ab 2025 klimaneutral sein soll, als Prestige-Projekt dar, mit dem sich Dänemark in der Welt als klimafreundliches Land präsentiert.
Fazit
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Nordischen Länder hohe Ambitionen haben, sich für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung einzusetzen. Trotzdem gibt es noch einige Punkte, die diese Ambitionen ambivalent erscheinen lassen, wie beispielsweise der Bau von neuen Atomkraftwerken oder der Export von Rohöl. An anderen Stellen wird die Vorreiterrolle der nordischen Länder in Europa jedoch deutlich, wie vor allem im Bereich Innovation, erneuerbare Energien oder anhand des generell nachhaltig orientierten Lebensstils.
[1] Hier gibt es mehr zu den SDGs: https://sdgs.un.org/goals
Verfasst von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Seminars
Das Seminar ,Nachhaltigkeit: Das skandinavische Modell als Vorreiter für Europa’ wird im nächsten Jahr (09.-12.09.2021) vor Ort in Uppsala - insofern dies aufgrund der Lage der öffentlichen Gesundheit möglich sein wird - durchgeführt, natürlich mit neuen spannenden Themen und Referentinnen und Referenten. Schwedische Zimtschnecken werden natürlich auch nicht fehlen ;-)
Dieses Online-Seminar wurde mit freundlicher Unterstützung des Altstipendiatenvereins, des Stipendiatenbeirates und des Netzwerks Nachhaltigkeit durchgeführt.
Bilder: privat